Armee und Bürokratie – Organisationsgeschichtliche Perspektiven auf das Militärische im 20. Jahrhundert

Armee und Bürokratie – Organisationsgeschichtliche Perspektiven auf das Militärische im 20. Jahrhundert

Organisatoren
Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, (ZMSBw), Dr. Christoph Nübel
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.03.2019 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Jannes Bergmann, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Die Beurteilung von Bürokratie im 20. Jahrhundert war oftmals ausgesprochen ambivalent. Einerseits wurde sie positiv wahrgenommen, weil sie geregelte Verfahrensabläufe erzeugte, andererseits wurden ihre hemmenden Kräfte als negative Einschränkung erfahren. Diesem Gegensatz und seiner organisationsgeschichtlichen Bedeutung im militärischen Kontext widmete sich der Workshop des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw).

Nach der offiziellen Eröffnung durch den Leitenden Wissenschaftler des ZMSBw, Michael Epkenhans, begann der inhaltliche Teil mit einer kurzen Einführung in das Themengebiet durch CHRISTOPH NÜBEL (Potsdam). Dieser skizzierte zwei Perspektiven auf die Beziehung zwischen Militär und Bürokratie. In der ersten Sichtweise wurde die Verwaltung als etwas gänzlich Unmilitärisches und als Behinderung der militärischen Abläufe angesehen. Dies führte zu einer Ablehnung bürokratischer Strukturen, war dabei allerdings immer auch stark vom historischen Kontext abhängig. Demgegenüber stand eine Betrachtung der Verwaltung als nötiges Instrument des Herrschaftsausbaus. Dieses eng mit der Entwicklung des modernen Staates und des Ausbaus der Heere seit der Frühen Neuzeit zusammengehörige Narrativ stellte die Verwaltung als Grundlage staatlicher Herrschaft in den Vordergrund und betonte den Zusammenhang zwischen dem Militär und der bürokratischen Staatsverwaltung. Abschließend skizzierte Nübel die Verbindungslinien der Veranstaltung zu aktuellen organisations- und verwaltungsgeschichtlichen Debatten und verwies auf diverse Anknüpfungspunkte für weiterführende Fragestellungen, auch im Hinblick auf die Bedeutung für gesellschaftspolitische Entwicklungen in Europa. In sechs Vorträgen sowie drei Kommentaren wurde das Thema des Workshops anschließend sowohl aus militärhistorischer wie sozialwissenschaftlicher Perspektive beleuchtet.

Das erste Panel wurde mit dem Vortrag von BERNHARD GOTTO (München) eröffnet. Am Beispiel der Person Ludwig Haiders, der mehrfach zwischen dem Dienst in der Armee und einer Tätigkeit in der Verwaltung wechselte, wurden Verbindungen zwischen und Charakteristika von militärischer und ziviler Bürokratie aus kulturgeschichtlicher Perspektive untersucht. Haider diente zunächst an verschiedenen Fronten im Ersten Weltkrieg, knüpfte danach an seine vorangegangene Ausbildung an und wechselte in den staatlichen Finanzdienst, um 1936 wiederum ins Militär einzutreten. 1942 erlitt sein bis dahin ungewohnt rascher Aufstieg durch den Vorwurf dienstlichen Versagens und Versetzung in den Wartestand einen Einbruch. Diese berufliche Biographie spiegelte sich auch in Haiders Beurteilungen wider. Erschien er zunächst als vorbildlicher Truppenführer und Manager, dem Empathie und die Nähe zu den untergebenen Soldaten wichtig waren, wandelte sich das Bild nach seinem Karriereknick hin zu dem eines negativ gezeichneten, da überkorrekten und distanzierten Bürokraten. Abschließend entwickelte Gotto die These, dass die Gemeinsamkeiten der kulturellen Codes für die dort tätigen Menschen als deutlich wichtiger zu erachten sind als die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen Militär und Verwaltungsdienst, und dass der Einfluss der individuellen Persönlichkeit des Führungspersonals auf das Amtshandeln demgegenüber häufig überwertet wird.

DOMINIK RIGOLL (Potsdam) widmete sich der Analyse der Fragebögen der alliierten Militärregierungen nach 1945 und der Bewertung dieses Versuchs einer bürokratischen Einordnung des Menschen. Im Gegensatz zu der – unter anderem von Ernst von Salomon in seinem 1951 veröffentlichten Roman Der Fragebogen verbreiteten – Charakterisierung als Dokument der Gewissens- und Wahrheitsforschung versuchte der Referent zu zeigen, dass die Fragebögen eben nicht der Aufklärung der historischen Wahrheit und einer damit einhergehenden Verurteilung der Täter dienten. Sie waren vielmehr bürokratisches Mittel der Versicherheitlichung. Ihr Zweck war es, möglichst schnell zwischen loyalen und illoyalen Deutschen zu unterscheiden und somit diejenigen herauszufiltern, die in den Augen der alliierten Regierungen der Entwicklung der Demokratie auf deutschem Boden in Zukunft schädlich sein könnten. Da allerdings eine differenzierte Auswertung, auch unter Zuhilfenahme der deutschen Gegner des Nationalsozialismus, zunächst unterblieb und somit mehr Belastete als ursprünglich geplant entlassen wurden, kam es bald zu einem Umschlagen der öffentlichen Meinung gegen die Denazifizierung, sodass die Fragebögen zwar zu einer allmählichen Redemokratisierung beitragen konnten, aber gleichzeitig als bürokratische Kategorisierungsmaßnahme in Verruf gerieten.

NILS LÖFFELBEIN (Düsseldorf) skizzierte den Wandel der allgemeinen Verwaltungsstrukturen in Westdeutschland ab den 1960er-Jahren und das Verhältnis zum Komplex der staatlichen Bürokratie. Waren zuvor in der Sicht der Zeitgenossen vor allem Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit Kennzeichen des staatlichen Verwaltungsapparates, kam es in den 1970ern in den westlichen Gesellschaften zu einer allgemeinen Kritik an der Bürokratie des aufkommenden Sozialstaates, die nun als schwerfällig, ineffizient und kostenintensive Haushaltsbelastung betrachtet wurde. Im Zuge von öffentlichen Diskussionen über Konzepte der Mitarbeiterführung wurde das Harzburger Modell entwickelt, das den Schwerpunkt auf das obere Management legte. Stand dabei zunächst die Erhöhung der Effizienz und eine damit einhergehende Anpassung an die Bedürfnisse des modernen Industrie- und Sozialstaates im Fokus, so kam später die Forderung nach einem neuen Führungsstil hinzu, bei der wiederum die Wirtschaft als Vorbild für den staatlichen Verwaltungsapparat diente. Dabei orientierten sich die Experten besonders an den amerikanischen Modellen, die sich seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges entwickelt hatten.

MARTIN ELBE (Potsdam) resümierte die Beiträge der ersten vier Redner. Er zeigte noch einmal die großen Entwicklungslinien der Verwaltung im 20. Jahrhundert auf und wies dabei auch über den militärischen Kontext hinaus. Die im ersten Vortrag ausgeführte Ähnlichkeit zwischen Strukturen im Militär und Staatsdienst wurde noch einmal herausgestellt, da sie den späteren Übergang von Soldaten in die freie Wirtschaft nicht nur vereinfachte, sondern dieser sogar bewusst gewünscht war. Zur Bewertung der alliierten Fragebögen wurde ergänzt, dass diese nicht nur ein System zur Sicherung der Demokratie, sondern ebenfalls bereits Teil eines Heilungsprozesses waren. Zum Schluss wurde noch die Durchdringung der neuen Managementmodelle der 1970er-Jahre von militärischen Vorstellungen besonders hervorgehoben.

Die bürokratischen Strukturen bei der Rüstungsgüterbeschaffung der beiden deutschen Streitkräfte während des Kalten Krieges untersuchte DIETER KOLLMER (Potsdam). Dabei zeigte er die grundsätzlich verschieden aufgebauten, da an die staatlichen Systeme gebundenen Beschaffungsapparate in Ost und West. Während in der parlamentarischen Demokratie der Bundesrepublik aufgrund der Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges Bundeswehr und zivile Verwaltung strikt getrennt waren, um eine Einhegung des militärischen Einflusses sicherzustellen, durchdrang im totalitären System der DDR das Militärische nahezu alle Bereiche der Gesellschaft, und dementsprechend war auch die Verwaltung an diese Strukturen angepasst. Letztendlich zeigte der Vergleich, dass die Bundesrepublik eine höhere Effizienz bei der Rüstungsgüterbeschaffung aufwies, da diese flexibler an die Anforderungen und Veränderungen des Marktes angepasst war, während die Einhaltung der zentralen ministeriellen Planungen in der DDR Anfang der 1960er-Jahre gescheitert war und die Verwaltungsbehörden mit den starren Prozessen im sozialistischen Wirtschaftssystem überfordert waren.

Im Anschluss thematisierte CARSTEN RICHTER (Berlin) die Psychologische Kriegsführung (PSK) der Bundeswehr, deren Aufgabe die ideologische Beeinflussung der eigenen Bevölkerung wie auch der Streitkräfte der DDR war. Anhand der Betrachtung von deren Gründer und erstem Leiter, Karl-Christian Trentzsch, versuchte der Referent, die Auswirkungen von Trentzschs biographischer Prägung auf seine Tätigkeiten innerhalb der PSK in einem verwaltungsgeschichtlichen Kontext nachzuvollziehen. Das auffälligste Merkmal in Trentzschs Leben waren sein Mut zum Regelverstoß und das ihm trotzdem von Seiten seiner Vorgesetzten entgegengebrachte Vertrauen, das ihm ein hohes Maß an persönlichem Handlungsspielraum gab. Er versuchte die bürokratischen Rahmenbedingungen so zu beeinflussen, dass seine Untergebenen über eine möglichst große Handlungsfreiheit verfügten, um den Einfallsreichtum der Mitarbeiter zu fördern und somit die Einsatzbereitschaft der PSK zu maximieren. Trentzsch schuf so mit der PSK ein System, das eine Synthese aus alten Prinzipien der Auftragstaktik mit seinen neuen Arbeitsprinzipien verband, indem es diese direkt einem politischen Zweck unterordnete.

Abschließend setzte sich KLAUS SCHROEDER (Wilhelmshaven) anhand von soldatischen Selbstzeugnissen mit der Wahrnehmung bürokratischer Strukturen im Afghanistaneinsatz auseinander. Die Veteranen beschrieben in ihren Erinnerungen Bürokratie fast ausnahmslos als etwas Negatives, insbesondere sofern es die bürokratischen Strukturen im Einsatz betraf. Durch geschilderte Konflikte mit bürokratischen Richtlinien, die sie als nicht praxistauglich und Gefahr für die eigene Sicherheit betrachteten, wurde die unterschiedliche Wahrnehmung von friedensbürokratischen Strukturen im Feldlager und der Wirklichkeit des asymmetrischen Kriegseinsatzes außerhalb dessen erkennbar. Allerdings zeigte sich auch eine unterschiedliche Bewertung von „deutscher“ gegenüber „bundeswehrtypischer“ Bürokratie. Dabei standen die Soldaten ersterer noch einigermaßen positiv gegenüber, da sie einen Blick zurück in die geregelten heimatlichen Strukturen bot, während letztere oftmals aufgrund fehlenden Einfühlungsvermögens als für den Alltag außerhalb des Lagers ungeeignet empfunden wurde. Dennoch zeigte sich eine gewissermaßen opportunistische Sichtweise, wenn die Soldaten zeitweise selbst auf bekannte verwaltungstechnische Mittel zurückgriffen, um ihre Ziele zu erreichen.

Den Abschluss des dritten Panels bildete der Kommentar von GREGOR RICHTER (Potsdam). Er konstatierte, dass Bürokratie nicht vom Militär zu trennen ist, da sie teilweise genau dort erst entsteht. Zur Kritik an der Bürokratie kam es vor allem dann, wenn die Kommunikation oder die eigentlich vorgesehenen Abläufe versagten oder wenn nicht klar war, was mit der übermäßigen Menge an gesammelten Informationen geschehen sollte.

Zum Ausgang der Konferenz hielt ULRIKE SCHULZ (Berlin) den Schlusskommentar, in dem sie ausgehend von einer kurzen Bilanz der Vorträge deren unterschiedliche Ansätze würdigte und diese in den verwaltungshistorischen Zugang des Workshops einordnete. Dabei betonte sie erneut den Isomorphismus von militärischer und ziviler Verwaltung und verband dies mit einem Appell, diese künstliche Trennung bei zukünftigen Forschungen abzubauen. Als zweiter Trend des Workshops wurde die Frage nach der Legitimation der Organisation Militär im Zusammenhang mit ihrem Organisationszweck, nämlich im Ernstfall die Vorbereitung auf den Krieg, gestellt. In einem abschließenden Plädoyer wurden die Aspekte, denen im Rahmen der Veranstaltung weniger Aufmerksamkeit geschenkt werden konnte, als Ausgangspunkte für zukünftige weiterführende Diskussionen zum Thema entwickelt. Dabei ging es einerseits um finanzielle Ressourcen, die als eine der Kernpunkte in der Verwaltung benannt wurden. Andererseits diskutierte Schulz die Modelle Max Webers, deren Historisierung für den soziologisch-historischen Dialog über Bürokratie, wie er auf dem Workshop zum Tragen kam, von großer Bedeutung war.

Konferenzübersicht:

Michael Epkenhans (Potsdam): Begrüßung

Christoph Nübel (Potsdam): Einführung

Panel I

Bernhard Gotto (München): Barras in die Behörde: Verwaltungskarrieren zwischen Wehrmacht und bayerischem Finanzdienst

Dominik Rigoll (Potsdam): Risiken identifizieren, Sicherheit organisieren. Die Fragebögen der alliierten Militärregierungen in Deutschland, 1945–1949

Panel II

Nils Löffelbein (Düsseldorf): „Verwaltungsführung im Wandel?“ – Die westdeutschen Debatten um neue Führungs- und Managementtechniken in der Staatsverwaltung während der 1960er- und 1970er-Jahre

Martin Elbe (Potsdam): Kommentar

Panel III

Dieter Kollmer (Potsdam): Zwischen militärischen und bürokratischen Notwendigkeiten. Rüstungsgüterbeschaffung in deutschen Streitkräften im Kalten Krieg

Carsten Richter (Berlin): Bürokratie und Bürokraten in der Psychologischen Kampfführung der Bundeswehr, 1958–1970

Klaus Schroeder (Wilhelmshaven): Einsatz in Afghanistan: Zwischen ‚künstlerischer Freiheit‘ und heimatlichen Strukturen

Gregor Richter (Potsdam): Kommentar

Ulrike Schulz (Berlin): Schlusskommentar: Armee und Bürokratie aus historischer und soziologischer Perspektive


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